Lassie Singers

Die Lassie Singers gründeten sich im Jahr 1988

In Kürze:
- 1988 gegründet
- 4 CD's herausgebracht
- ca. 300 Konzerte gegeben
- 1998 Time to say tschüss - Tour

Nicht vergessen: Männo!
Sie waren der griechische Chor in den Dramen der neunziger Jahre:
Ab heute sind die Lassie Singers auf Abschiedstournee.

Von Richard Oehmann
Feuilleton Junge Welt 03.11.1998


Sie sahen nicht aus wie Twiggy, wollten nicht fremdbestimmt arbeiten und ihren Lippen entschlüpfte auch mal ein unbeherrschtes Wort. Die Lassie Singers waren nicht allein die Rettung für jene, die gerne im Auto Lieder grölen und außer Comedian Harmonists, Ideal und "Die Gedanken sind frei" kein vernünftiges deutsches Liedgut kannten, nicht allein Trost für alle zögerlichen Berufsanfänger in der Sinnkrise, für alle, denen Erwachsenwerden schwer fiel.

Diese Damen waren nichts weniger als der griechische Chor der neunziger Jahre. Heute erst, da ihre Jugendsünde "Wir sind dagegen, wir sind dafür" veröffentlicht ist, wird offenbar, wie präzise die Band die Beklemmungen und unheilvollen Ahnungen einer Generation zum Ausdruck brachte: Da nämlich sprachen sich die Sängerinnen bereits 1991 gegen die Scheidung von Mutter Beimer, gegen Cola light und Karaoke aus.

Nichts von dem konnte verhindert werden, und daran ist schon das ganze Drama zu erkennen. Der Chor selbst, der nur danebenstehen und an den Schaurigkeiten der Welt verzweifeln muß, wird zur tragischen Figur und geht schließlich an dem ganzen Jammer, den er zu besingen hat, zu Grunde. Die Band, die sich bereits aufgelöst hatte und schon in Vergessenheit geraten wollte, bedauert mittlerweile ihr schnödes, klammheimliches Verschwinden, nimmt daher nochmal die Strapazen einer Abschiedstournee auf sich und sagt ordentlich "Tschüss" zu den Anhängern.

Dabei soll noch einmal zum Ausdruck kommen, was die Band diesem Jahrzehnt beschert hat: neuen Mut zu Trallalala, Peinlichkeit und Melancholie. Und zwar genau in dieser Reihenfolge.

Almut Schummel und C.C. Hügelsheim alias Almut Klotz und Cristiane Rösinger haben die Gruppe mit dem doofen Namen einst zusammen mit Funny van Dannen im Kreuzberger Fischbüro gegründet. Weil sie keine Ausbildung hatten, nahmen sie eben diesen Scheiß auf sich, schleppten sich durch die Unbill des Musikgeschäfts, reisten von Club zu Club, warben für ihre Platten und wurden doch nicht reich.

Nun bestreiten Frau Klotz und Frau Rösinger konsequenterweise auch den Heimgang des hellsichtigsten Damenchors der entmauerten Republik. 15 Tage dauert die Abschiedsreise, da herrscht mindestens dreimal "Schnitzelalarm", wenn der Tourbus an der Raststätte Frankenhöhe vorbeikommt, in München wartet das "Hotel daheim" und in "sexy Hamburg" der Hans-Albers-Platz mit seinen Ski-Anzügen.

Es gibt Immenses zu erinnern. In einer Branche, wo Frauen entweder glamourös oder Groupie zu sein haben, krähten die Lassie Singers ein herzhaftes "Männo!" in die Runde, das man niemals vergessen kann.

Die erste Platte "Die Lassie Singers helfen Dir" markierte, auch wenn viele Texte von schiefgelaufenen Beziehungen kündeten, die neue Heiterkeit des jungen Jahrzehnts. Die simpel-großartigen Akkorde von Hermann Hermanns Gitarre und der mehrstimmige Gesang erzeugten die erbarmungslosesten Ohrwürmer seit Franz Beckenbauer. Hier wurde gereimt, zitiert und gealbert wie selten.

Viele Themen hatten schon so lange ihrer lyrischen Aufarbeitung geharrt, nun ging alles in einem Aufwasch: die Abrechnung mit dem Pärchentum in "Pärchenlüge" und "Alle netten Mädchen", der Zorn über eitle Männer in "Mein Freund hat mit mir Schluß gemacht" sowie die Klarstellung, woran Frauen wirklich täglich zu leiden haben in "Frauen am Rande des Nervenzusammenbruchs".

Politische Ereignisse werden dagegen auf der Bedeutungsstufe von Zahnschmerzen abgehandelt: "Zu allem Unglück stürzt auch noch die Mauer ein und mein Ex aus'm Osten will bei mir rein." Der Zitatenschatz ist sehr Sixties-orientiert, man merkt es an Namen wie Emma Peel, Wilma Feuerstein und Fury, aber auch Helge Schneider hinterläßt bereits Spuren im Textblatt.

Auf der zweiten Platte erst kommt die graue Eminenz der Neunziger, Mutter Drombusch, mit ihrem berühmten Satz "Sei Motor!" zur Geltung. Das Werk selbst, "Sei à gogo" aus dem Jahre '92, wird ein Meilenstein der neuen Ungezwungenheit, denn Frustriertsein ist wieder liedkompatibel. Die Schwermütigen aus der Vergangenheit, Bettina Wegener und Rainer-Werner Fassbinder, existieren nur noch als Phrase, der wahre Kummer kulminiert im biologischen Feldversuch im eigenen Zimmer ("Ist das wieder so 'ne Phase?").

"Mein zukünftiger Exfreund" nimmt Jeff Goldblums "my future exwife" aus "Jurassic Park" vorweg, und zudem dokumentiert die Platte das Aufkommen von Zitronenbieren sowie die Entdeckung der Schatzstadt Hamburg als angeblich besten Partyort des Landes.

1995 erfolgt der Versuch der Eleganz: die CD "Stadt, Land, Verbrechen". Der Klang ist edler, die Fotos sind gestellter und die Gitarre von F.J. Krüger verhilft zu ungewohnt schneidiger aber keineswegs notwendiger Rockigkeit.

"Der Mensch wird immer größer, fitnessiert sich immer mehr", doch die große Party scheint vorbei, "Sex ist kein Thema mehr", man bleibt zu Hause und betreibt Gesellschaftsspiele oder beobachtet den Nachbarn, der "Murmeln im Sack" hat. Es herrscht "stille Grundtrauer", Müdigkeit, Langeweile und Sehnsucht nach dem Landleben. Das Verb "verschlagen" findet Eingang in die Popgeschichte, und bei "Es ist so schade" triumphiert noch einmal die Akkordkombination C-a-F-G.

Ein Jahr später geht der Katzenjammer erst richtig los. Die männlichen Mitmenschen haben die Band verlassen, Klotz und Rösinger schreiben ihre Stücke öfter alleine, weshalb der Humor nurmehr ein Adjutantendasein führt. Die CD "Hotel Daheim" hört sich latent bedauerlich an: "Süßes Wühlen in Vergeblichkeit", "kein Geld" und Angst vor dem Alter. Liebe wird sowieso "oft überbewertet", und wenn man gelernt hat, sich "selbst Hotel zu sein", kriegt man auch diese düstere Phase rum.

Aber egal, in welche tristen Täler sich die Lassie Singers zwischendurch verlaufen haben, ihre Konzerte sorgten stets dafür, daß der abfällige Unterton beim Aussprechen des Wortes "nett" verschwunden ist. "Die sind soooooo nett", war das häufigste Fan-Fazit nach der Show. Man wollte diese Mädels sofort für zden Freundeskreis annektieren, mit ihnen Stadt-Land-Verbrechen spielen oder "Danke für diesen guten Morgen" singen.

Die Lassies sorgten als große Schwestern von Tocotronic dafür, daß schon vor deren "Wir sind hier nicht in Seattle, Dirk" die Welt bereit war für die gute Idee, unzickige deutsche Popmusik zu hören.

Nun, am Ende der holprigen Karriere, sind die Lassie Singers bei Nostalgie und Misanthropie angelangt. Zwei CDs auf dem soeben von Klotz und Rösinger gegründeten Label "Flittchenrecords" maulen noch mal nach.

"The best of" ist die Geschenkidee für alle armen Schweine, die wieder nichts mitgekriegt haben, und "The Rest of" bietet LS-Hardcore, Jugendsünden, erste verschrobene Aufnahmen einschließlich quietschendem Wellensittich und zwei Spätwerke.

Einst hatten die Lassie Singers in ihrem gesungenen Credo angekündigt, daß sie bald in allen Bars zu hören und echte Stars sein werden. "Und dann werdet ihr euch wundern!" hieß es. Gewundert haben wir uns nicht, aber sehr gefreut, und das ist ja wohl viel, viel bessser, oder?