Das erste Mal Britta. Im Sommer nachts durch das österreichische Flachland fahren im Auto eines Freundes. Im Radio spielen sie „DJ Holzbank“. Im Jahr 2001 muss es gewesen sein. Es war die Zeit von Genua, Schröder in Deutschland, den wöchentlichen Anti-Schwarz-Blau-Demos in Österreich. Der Sommer sollte später mit 9/11 enden. Von der DJ-isierung der Musikwelt wusste ich damals noch nichts. Ich bin dann extra nach Wien gefahren und hab sie mir gekauft, diese beste deutschsprachige Platte der Welt: „Kollektion Gold“. Alles, was ich damals wusste von Berlin, noch bevor ich das erste Mal da war, wusste ich von Britta und „Kollektion Gold“. Das meiste, was ich von Berlin heute weiß, weiß ich immer noch davon. Das Berlin von Britta war die Stadt, in die ich ziehen wollte. Und schlussendlich auch gezogen bin.
Jahre später habe ich die Band dann erst kennengelernt. In der Lagerhalle in Bremen. Damals leider schon ohne die Namensgeberin Britta Neander, dafür mit Sebastian Vogel von Kante am Schlagzeug. Es war gerade die Platte „Das schöne Leben“ erschienen und mit ihr der Überhit „Wer wird Millionär?“. Ein Song wie aus Rio Reisers Spätwerk, nur wahrer und schöner und besser.
17 Jahre später sitze ich wieder hier, wenige hundert Meter entfernt von der Stelle, an der ich mein erstes Britta-Lied gehört habe. Es ist Sommer 2018 und das Land hier an der Grenze ist flacher denn je. Ich höre mich im Garten durch die Britta-Platten und google nach alten Texten über diese Band, zu der man überraschend wenig findet im Netz. Frage mich, wie viele beste Bands der Welt derweilen herbei- und weggeschrieben worden sind. Und was davon übrigblieb. Und warum Britta immer nur am Rand rumstanden. Warum für sie in den Hamburger und Berliner Schulen eigentlich kein Platz war. Und ob das in Wahrheit alles nur Bubeninternate waren.
Britta wussten halt einfach zu viel. Und vor allem: sie konnten es zusammen denken. Britta wussten von Neil Young, aber auch von alten Schlagern. Und immer wieder wussten sie von Heinrich Heine. Sie kannten die Regeln des Chinesischen Roulette, die wahre Bedeutung der 2 Öltanks und sie konnten dem Mondgesicht einen Namen geben. Ja, Britta wussten zu viel. Und das ganz ohne aufdringlich damit zu sein.
Christiane Rösinger ist wohl der einzige Mensch den ich kenne, der gar keine wirkliche Sprechstimme hat, sondern immer in dem ihr eigenen Singsang spricht, indem all ihre Melodien konserviert zu sein scheinen. Die schon geschriebenen wie auch die noch zu schreibenden. Wenn Julie Miess' Bassläufe sich wiedermal ins Endlose drehten und mehr Melodie als Begleitung waren, Barbara Wagners Fuzzgitarren den Strand der Westcoast in die dunklen Lieder brachten, war es eine seltene Eleganz, die man hier in der Melancholie fand, und die Brittas Musik zu etwas ganz Eigenem und Unangreifbarem machte. Es war klar mit jedem Ton: hier wird Champagner und nicht Bier getrunken. Und dann natürlich Christiane Rösingers Texte, in denen sich ein weiches Herz auf unnachahmliche Weise mit Menschenhass paart. Kaktusse und Klassenbewusstsein, Prekariat und eine viel zu große Wohnung.
Bevor ich davon wusste, konnte ich hier erfahren, wie Privates im Allgemeinen stattfindet und wie es fortwährend daran scheitert. Geschichten über politische Desillusionierung, deren Überwindung und immer wieder: über die Liebe als kapitalistisches Konstrukt. Britta war von Anfang an mehr Forschung am lebenden Objekt als der Auskenner-Pop aus dem Labor. Texte, die die Ausgehgesellschaft als solche begriffen und sie seziert haben, wie in einem der großen Romane aus dem 19. Jahrhundert. Weil sich zwischen den Worten die Welt abspielt. Und weil das Persönliche und Private nun mal am meisten über ebendiese aussagt. Dass die Worte immer stärker sein werden als der Mief, der uns umgibt. Dass sie Trost sein können, gerade auch für diejenigen, die sie niederschreiben. Dass die Musik immer da sein wird. Und potentiell überall sein kann.
So wie die Gruppe Britta immer da sein wird. Und zwar überall.
Andreas Spechtl im Sommer 2018
(Remastered)
Booking: Powerline Agency
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Tourdaten:
05.10.2018 Frankfurt, Brotfabrik
06.10.2018 Köln, Artheater
11.10.2018 Berlin, Festsaal Kreuzberg
15.10.2018 München, Unter Deck
16.10.2018 Leipzig, Werk 2
17.10.2018 Hamburg, Knust
20.10.2018 AT-Wien, Fluc